"...ich begann einfach, ein Gesicht zu malen, der Phantasie und der Führung folgend, die sich aus dem Begonnenen, aus Farbe und Pinsel von selber ergaben...Mehr und mehr gewöhnte ich mich daran, mit träumerischem Pinsel, Linien zu ziehen und Flächen zu füllen, die ohne Vorbild waren, die sich aus spielerischem Tasten, aus dem Unbewussten ergaben. Endlich machte ich eines Tages, fast bewusstlos, ein Gesicht fertig, das stärker als früher zu mir sprach... voll von geheimem Leben. Als ich vor dem fertigen Blatte saß, machte es mir einen seltsamen Eindruck. Es schien mir eine Art von Götterbild oder heiliger Maske zu sein, halb männlich, halb weiblich, ohne Alter, ebenso willensstark wie träumerisch, ebenso starr wie heimlich lebendig. Dies Gesicht hatte mir etwas zu sagen, es gehörte zu mir, es stellte Forderungen an mich... Und allmählich kam mir ein Gefühl, dass das nicht Beatrice und nicht Demian sei, sondern ich selbst. Das Bild glich mir nicht - das sollte es auch nicht - fühlte ich aber, es war das, was mein Leben ausmachte, es war mein Inneres, mein Schicksal oder mein Dämon. So würde mein Freund aussehen, wenn ich je wieder einen fände. So würde meine Geliebte aussehen, wenn ich je eine bekäme. So würde mein Leben und so mein Tod sein, dies war der Klang und Rhythmus meines Schicksals."
aus "Demian" von Hermann Hesse (1919)